Newsletterarchiv

Newsletter

von Christiane Ordemann 8. Mai 2024
Seitdem das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021 (5 AZR 149 / 21) veröffentlicht wurde, nehmen die Fälle zu, in denen Arbeitgeber trotz Vorlage bzw. Abruf einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Krankheitstage von Mitarbeitern nicht vergüten. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Arbeitnehmer hatte selbst gekündigt und für den gesamten Zeitraum der Kündigungsfrist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Dieser Zusammenhang erschütterte nach Auffassung des Gerichts den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der Folge, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit beweisen musste. Da eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt, sollte dies im Regelfall kein Problem sein, da der Arbeitnehmer den Arzt von seiner Schweigepflicht entbinden kann. Im Regelfall ist nicht damit zu rechnen, dass der Arzt entgegen der selbst ausgestellten Bescheinigung als Zeuge die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht bestätigt. Dennoch scheint es für Arbeitgeber attraktiv zu sein, den Arbeitnehmer in die Rolle zu drängen, dass er seine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in derartigen Fällen notfalls einklagen muss. Diese Rechtsprechung erfährt durch ein Urteil des LAG Köln (vom 10.08.2023, 6 Sa 682/22) eine gewisse Einschränkung. Eine derartige Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt danach nicht in Betracht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit und seine Erkrankung plausibel darlegen kann. Im Falle des LAG Köln ging es um eine Mitarbeiterin, die seit mehreren Jahren an einer psychischen Belastungsstörung litt. Ein Personalgespräch löste bei der Arbeitnehmerin erneute psychische Probleme aus, so dass sie ihre Sachen aus dem Büro mitnahm, ihr Diensthandy abgab und sich gegenüber den Kollegen dahingehend äußerte, sich krankschreiben lassen zu wollen. Am Tag danach kündigte sie und meldete sich unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krank. Diese wurde verlängert und von einem kurzen Erholungsurlaub unterbrochen. Anschließend befand sich die Arbeitnehmerin über den Rest der Kündigungsfrist in stationärer Krankenhausbehandlung. Das LAG Köln hat der Mitarbeiterin recht gegeben. Grundsätzlich könne zwar die Ankündigung einer Krankschreibung und die Mitnahme persönlicher Gegenstände den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, nicht jede Ungereimtheit habe jedoch diese Folge. Dies gelte insbesondere bei einer bereits seit längerem bestehenden Grunderkrankung wie hier. Die plausible Darlegung der Erkrankung und der Umstände erschüttern den Beweiswert nach Auffassung des LAG Köln nicht. Eines darüberhinausgehenden Beweises bedurfte es in dem Verfahren nicht. Der Arbeitgeber wurde zur Entgeltfortzahlung verurteilt. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat diese Entscheidung jedoch nicht geändert. Für die Praxis empfiehlt es sich daher, auf die Begleitumstände einer Arbeitsunfähigkeit zu achten. Arbeitnehmern kann im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nur geraten werden, sich nicht zeitgleich mit einer Eigenkündigung krankschreiben zu lassen, wenn dies nicht unbedingt notwendig ist. Bremen im Februar 2024 Christiane Ordemann Rechtsanwältin
von Christiane Ordemann 2. März 2023
Flyline-Kündigungen – was ist von ihnen zu halten? In der letzten Woche haben die Bremer Flyline-Mitarbeiter ihre Kündigungen erhalten. Grund ist die Verlagerung der Bremer Arbeitsplätze nach Rumänien. Betroffene Mitarbeiter müssen wissen, dass sie ihre Rechte, falls die Kündigung zu beanstanden ist, nur wahren können, wenn sie innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven erheben. Bei Zugang einer solchen Kündigung z.B. am 08.02.2023 läuft die Klagefrist am 01.03.2023 ab. Spätestens an diesem Tage müsste dann die Klage beim Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven eingegangen sein. Derartige Massenkündigungen sind keineswegs immer wirksam, weil es keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr gibt. Dies ist nicht zwangsläufig der Fall. Bei der Air-Berlin-Insolvenz gab das Bundesarbeitsgericht (BAG, Az: 6 AZR 146/19) einigen Piloten, die Kündigungsschutzklage erhoben hatten, recht. Grund war die fehlerbehaftete Massenentlassungsanzeige. Wer seine Rechte wahren möchte, sollte als betroffener Mitarbeiter Kündigungsschutzklage erheben. Erfolgt dies nicht innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist, gilt eine Kündigung von Gesetzes wegen als sozial gerechtfertigt und ist später nicht mehr angreifbar. Wer über eine Rechtsschutzversicherung mit Versicherungsschutz für Arbeitsrecht verfügt, kann sich mit minimalen Kosten (in der Regel in Höhe der Selbstbeteiligung) anwaltlich vertreten lassen. Ansonsten kann beim Arbeitsgericht nach Terminvereinbarung Kündigungsschutzklage zu Protokoll der Geschäftsstelle erhoben werden. Je nach Vermögens- und Einkommenssituation ist es auch möglich, einen Antrag auf Prozesskostenhilfe zu stellen. Sollten Sie uns beauftragen wollen, können wir Ihnen dabei schnellstmöglich behilflich sein. Bremen im Februar 2023 Christiane Ordemann
von Christiane Ordemann 21. Dezember 2022
In einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.12.2022 (9 AZR 266/20, Pressemitteilung Nr. 48 vom 20.12.2022) setzt das Bundesarbeitsgericht konsequent die Vorgaben des europäischen Gerichtshofs nach der Vorabentscheidung vom 22.09.2022 (C-120/21) um. Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt festgelegt, dass die gesetzliche Verjährung von Urlaubsansprüchen erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber über den konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Im konkreten Fall hatte der Arbeitgeber 14 Urlaubstage mit ca. 3.200,00 € brutto abgegolten. Die Arbeitnehmerin, Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin, verlangte nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis noch Urlaubsabgeltung für 101 Arbeitstage aus den Vorjahren. Die Klage wurde am 06.08.2018 eingereicht. Das Landesarbeitsgericht sprach der Klägerin in der Berufungsinstanz ca. 17.400,00 € brutto zur Abgeltung weiterer 76 Arbeitstage zu und war der Auffassung, die vom Beklagten Arbeitgeber erhobene Einrede der Verjährung greife nicht durch. Die gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts eingelegte Revision des Arbeitgebers hatte vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht schloss sich der Argumentation des EuGH an, dass der Zweck der Verjährungsvorschriften, Rechtssicherheit zu gewährleisten in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Kater der Grundrechte der EU zurücktrete, da es vorrangig sei, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Urlaub zu schützen. Die Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dafür dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis beruft, wenn er den Arbeitnehmer nicht durch Hinweis in die Lage versetzt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. Der beklagte Arbeitgeber konnte sich daher nicht darauf berufen, der nicht gewährte Urlaub sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt. Die Arbeitnehmerin hatte den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben. Die Konsequenz aus dieser Entscheidung ist, dass ein Arbeitgeber, sobald absehbar ist, dass der Jahresurlaub eines Arbeitnehmers nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums genommen wird, diesen möglichst rechtzeitig auf die noch offenen Urlaubsansprüche in nachweisbarer Form hinweisen sollte. Andernfalls drohen hohe finanzielle Risiken, für die möglicherweie Rückstellungen gebildet werden sollten. Bremen, im Dezember 2022 Christiane Ordemann Rechtsanwältin
von Christiane Ordemann 25. November 2021
Vom 24.11.2021 bis zum 22.03.2022 wird für alle nicht geimpften oder genesenen Mitarbeiter, eine tägliche Testpflicht eingeführt. Nach dem bisherigen Informationsstand reichen dafür ein • maximal 48 Stunden alter Bürgertest oder • ein beaufsichtigter Test im Betrieb. Ein PCR-Test ist nicht erforderlich. Selbsttests müssen aufgrund ihrer CE-Kennzeichnung oder aufgrund einer gemäß § 11 Abs. 1 des Medizinproduktegesetzes erteilten Sonderzulassung verkehrsfähig sein. Die getesteten Personen dürfen sich erst dann an den Arbeitsplatz begeben, wenn ein negatives Testergebnis vorliegt. Die Testung zählt grundsätzlich nicht zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit. Der Betrieb darf ohne gültigen Test nicht betreten werden, Ausnahme ist lediglich das Betreten zur Wahrnehmung eines Testangebots des Arbeitgebers. Die Arbeitgeber müssen kontrollieren, ob die Beschäftigten ihre Verpflichtung, einen Impf- oder Genesenen-Nachweis oder eine aktuelle Bescheinigung über einen negativen Coronatest mitzuführen, erfüllen und dies dokumentieren. Bei Verstößen droht den Arbeitgebern und auch den Arbeitnehmern ein Bußgeld von bis zu 25.000,00 €. Nach wie vor muss der Arbeitgeber zwei Tests pro Woche kostenlos zur Verfügung stellen. Die weiteren Tests muss der Arbeitnehmer auf eigene Kosten durchführen. Er hat auch die Möglichkeit, einen kostenlosen Bürgertest zu machen. Arbeitgeber können auch weitere Testmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Weitere Informationen sind derzeit verfügbar auf den Internetseiten des Bundesgesundheitsministeriums unter https://www.bmas.de/DE/Corona/Fragen-und-Antworten/Fragen-und-Antworten-ASVO/faq-corona-asvo.html und der Handelskammer Bremen unter https://www.handelskammer-bremen.de/coronavirus/mpk-beschluesse-19-11-5341346. (Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität dieser Links kann keine Verantwortung/Haftung übernommen werden.) Nach wie vor gilt bisher, dass es keine Impfpflicht gibt; nach der Corona-Arbeitsschutzverordnung Arbeitgeber weiterhin verpflichtet sind, Mitarbeitern, die physischen Kontakten ausgesetzt sind, zweimal wöchentlich Corona-Tests auf ihre Kosten anzubieten; die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel weitergilt. Die Maskenpflicht bleibt überall dort bestehen, wo technische oder organisatorische Maßnahmen keinen ausreichenden Schutz bieten. Betriebsbedingte Personenkontakte sind einzuschränken. Die gleichzeitige Nutzung von Räumen durch mehrere Personen - auch während der Pausen - ist auf das notwendige Minimum zu reduzieren. Bremen, den 25.11.2021 Christiane Ordemann
von Christiane Ordemann 22. November 2021
LAG Niedersachsen v. 6.5.2021 - 5 Sa 1292/20 Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat ein zu weitgehendes Urteil des Arbeitsgerichts Emden zur Darlegungs- und Beweislast im Überstunden-Prozess aufgehoben und die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Das Arbeitsgericht Emden war im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 14.5.2019 - C-55/18 - davon ausgegangen, dass in europarechtskonformer Auslegung des § 618 BGB der Arbeitgeber zur Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeiten verpflichtet sei. Komme er dieser Verpflichtung nicht nach, reichten die vom Kläger, einem Auslieferungsfahrer, vorgelegten technischen Aufzeichnungen als Indiz für die geleistete Arbeitszeit aus. Der Arbeitgeber habe diese Indizien nicht durch z.B. Darlegung von Pausenzeiten entkräften können. Dies reichte für das Arbeitsgericht Emden aus, dem Arbeitnehmer den Anspruch auf Überstundenvergütung zuzusprechen. Diese Auffassung teilte das Landesarbeitsgericht nicht. Das o.g. Urteil des EuGH habe keine Aussagekraft für die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess im Hinblick auf die Frage der Anordnung, Duldung oder Betriebsnotwendigkeit von Überstunden. Über Fragen der Vergütung könne der EuGH nicht entscheiden, da er dafür gemäß Art. 153 AEUV nicht kompetent sei. Es bleibt also dabei, dass Arbeitnehmer, die Überstundenvergütung gegen ihren Arbeitgeber geltend machen wollen, detailliert darlegen und unter Beweis stellen müssen, wann die tägliche Arbeitszeit und die Pausen begonnen und geendet haben und wann genau Mehrarbeit geleistet wurde. Darüber hinaus ist stets die Anordnung, Duldung oder Betriebsnotwendigkeit der Überstunden darzulegen und zu beweisen. Bremen im November 2021 Christiane Ordemann
von Fachanwältin für Arbeitsrecht Christiane Ordemann 23. März 2021
Ein Anspruch auf Abfindung ist im deutschen Arbeitsrecht lediglich die Ausnahme. Bei Kündigungen aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gemäß § 1 a KSchG besteht ein Anspruch auf Abfindung, wenn der Arbeitgeber dies mit der Kündigung anbietet. Dann beträgt die Abfindung 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, wenn der betroffene Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebt. Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als sechs Monate auf ein volles Jahr aufzurunden. Daneben kann sich ein Anspruch auf Abfindung ergeben, wenn bei einer Betriebsänderung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ein Sozialplan verhandelt wurde. Sozialpläne können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein, häufig gibt es Regelungen zu Abfindungen und zu Transfergesellschaften. Im Übrigen hängt es von den Aussichten einer Kündigungsschutzklage und dem Verhandlungsgeschick Ihrer Fachanwältin oder Ihres Fachanwaltes für Arbeitsrecht ab, ob und in welcher Höhe eine Abfindung vereinbart wird. Dabei muss zuvor die Klagefrist beachtet werden. Sie beträgt drei Wochen nach Zugang der Kündigung und läuft auch während des Urlaubs oder während einer krankheitsbedingten Abwesenheit. Wurde die Klagefrist versäumt, ist mit anwaltlicher Unterstützung in seltenen Fällen eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage möglich. Auch Aufhebungsverträge, die anstelle einer Kündigung verhandelt werden, können eine Abfindung vorsehen. Hier ist Vorsicht geboten. Durch kluge Gestaltung kann eine Sperrzeit und Kürzung der Anspruchsdauer im Falle der Arbeitslosigkeit vermieden werden. Bremen im März 2021
von Christiane Ordemann 11. Februar 2021
Das Arbeitsgericht Emden hat am 20. Februar 2020 (2 Ca 94/19) geurteilt, dass Arbeitgeber generell verpflichtet sind, die Arbeitszeit aller Mitarbeiter zu erfassen, obwohl nach deutschem Recht eine generelle Arbeitszeiterfassung lediglich in bestimmten Wirtschaftsbereichen wie Baugewerbe, Gaststätten und Herbergen, im Speditions-, Transport- und Logistikbereich, bei Unternehmen der Forstwirtschaft, Gebäudereinigung, Messebau und Fleischwirtschaft sowie für Minijobber vorgesehen ist. Darüber hinaus ist gemäß § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz lediglich die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit, sogenannte Mehrarbeit, aufzuzeichnen. Das Urteil des Arbeitsgerichts Emden beruht auf einer ebenfalls neueren und viel diskutierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeiterfassung vom 14.05.2019 (C-55/18). Der EuGH hat gefordert, dass die Zeiterfassung der Arbeitnehmer durch ein objektives, verlässliches und zugängliches System erfolgen muss. Die Mitgliedstaaten müssten alle erforderlichen Maßnahmen treffen, damit den Arbeitnehmern die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitszeitrichtlinie tatsächlich zugutekommen. Nur so könne der bezweckte Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer tatsächlich einer Kontrolle durch Behörden und Gerichte zugeführt werden. Dies sei ohne ein System, das die tägliche Arbeitszeit misst, äußerst schwierig oder praktisch unmöglich. Eine Regelung, die keine Verpflichtung der Arbeitgeber vorsehe, die Arbeitszeit systematisch zu erfassen, gefährde somit den Schutzzweck der Arbeitszeitrichtlinie. Wie die Arbeitszeit tatsächlich festgehalten werden muss, sagt die Rechtsprechung nicht. Vielmehr ist der Gesetzgeber aufgefordert, Regelungen zur Ausgestaltung dieser Verpflichtung zu treffen. Dies bedeutet, dass das Arbeitszeitgesetz voraussichtlich im Sinne der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie geändert werden muss. Bereits jetzt gilt, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter anweisen dürfen, die Arbeitszeiten eigenständig festzuhalten. Der Arbeitgeber wird dies jedoch stichprobenartig kontrollieren müssen. Das Modell der Vertrauensarbeitszeit – ohne jegliche Zeiterfassung – wird jedenfalls der Vergangenheit angehören. Wie der Gesetzgeber dies umsetzt bleibt abzuwarten.
von Christiane Ordemann 9. November 2020
In den meisten Fällen enden Mietverhältnisse nicht gleichzeitig mit dem Ende des jährlichen Abrechnungszeitraumes für Nebenkosten am 31. Dezember eines Jahres. Der Verbrauch von Strom, Gas, Wasser und Heizkosten muss jedoch zum Ende der Mietzeit festgestellt werden. Üblicherweise können dafür die jeweiligen Zählerstände abgelesen und dann eine Aufteilung zwischen dem alten und dem neuen Mieter nach Verbrauch vorgenommen werden. Für die Heizkosten bieten die Abrechnungsunternehmen an, eine sogenannte Zwischenablesung durchzuführen. Der Verbrauch zum Auszugstermin wird festgestellt und das Abrechnungsunternehmen erstellt direkt sowohl eine Abrechnung für den alten als auch eine für den neuen Mieter. Damit muss der Vermieter nicht selbst die Kostenverteilung vornehmen und ausrechnen. Dieser Service ist jedoch kostenpflichtig. Da diese Kosten dem Vermieter in Rechnung gestellt werden, versucht dieser in der Regel diese Kosten dem ausziehenden Mieter aufzuerlegen, zumindest dann, wenn der Mieter den Mietvertrag gekündigt hat. Durch die Entscheidung, das Mietverhältnis zu beenden, hat der Mieter diese Kosten schließlich auch verursacht. Deshalb wird in vielen Formular-Mietverträgen geregelt, dass die Kosten einer Zwischenablesung vom ausscheidenden Mieter zu tragen sind. Nach zwei neueren Gerichtsentscheidungen sind derartige Regelungen im Mietvertrag jedoch unwirksam. Das Landgericht Leipzig hat dies mit Urteil vom 05.09.2019, Az. 8 O 1620/18, festgestellt. Nachdem der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 14.11.2007, Az. VIII ZR 19/07, zit. n. juris, festgestellt hat, dass es sich bei den Kosten einer Zwischenablesung um Verwaltungskosten handelt, müsse diese Wertung des Bundesgerichtshofs so verstanden werden, dass die Kosten der Zwischenablesung an sich keine umlagefähigen Betriebskosten sind. Diese sollen den Mieter grundsätzlich nicht belasten. Es sei daher unerheblich, ob diese Kosten unter einer anderen Überschrift im Mietvertrag aufgenommen werden. Eine vertragliche Regelung, die diese Kosten auf den Mieter überwälzt, sei als unangemessene Benachteiligung im Vertrag unwirksam. Entsprechend hat auch das Amtsgericht Münster am 12.09.2019 zum Az. 6 C 1738/19 entschieden. Bremen im November 2020 Rechtsanwältin Christiane Ordemann
von Christiane Ordemann 20. Oktober 2020
Europäischer Gerichtshof (EuGH v. 06.11.2018, C-684/16 und C-619/16) und Bundesarbeitsgericht (BAGv. 19.02.2019, 9 AZR 423/16) haben in ihren Entscheidungen zum Verfall von Urlaubsansprüchen klargestellt, dass der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nur dann erlischt, wenn der Arbeitgeber seinerseits mitgewirkt hat, indem er den Arbeitnehmer auf seinen Urlaubsanspruch und die Möglichkeit des Verfalls hingewiesen hat und der Arbeitnehmer dennoch den Urlaub nicht aus freien Stücken nimmt. Was bedeutet dies für den Arbeitgeber? Gesetzliche Vorgaben gibt es dazu nicht. Aus der Rechtsprechung ist zu schließen, dass der Arbeitgeber durch geeignete Mittel den Arbeitnehmer in die Lage versetzen muss, frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Dies bedeutet, dass er dem Arbeitnehmer konkret, am besten schriftlich, zumindest in Textform, und zu Beginn des Kalenderjahres mitteilt, wie viele Arbeitstage dem Arbeitnehmer in dem bestimmten Jahr zustehen. Dazu gehört auch die Angabe des Resturlaubs aus den Vorjahren (siehe LAG Köln, 9. April 2019,4 Sa 242/18). Der Arbeitgeber muss den Mitarbeiter auffordern, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er noch im laufenden Kalenderjahr genommen werden kann. Außerdem muss er den Arbeitnehmer über die Konsequenzen belehren, nämlich dass der Urlaub am Ende des Kalenderjahres, spätestens jedoch nach Ende des Übertragungszeitraums von drei Monaten verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, Urlaub zu nehmen, ihn aber nicht beantragt hat. Diese Angaben abstrakt im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Betriebsvereinbarung zu machen, genügt den Anforderungen der Rechtsprechung nicht. Im Hinblick auf die Übertragung nicht genommenen Urlaubes in das nächste Kalenderjahr, muss erneut über den Verfall des Urlaubs am Ende des Übertragungszeitraums hingewiesen werden. Ein solcher Hinweis sollte rechtzeitig vor Jahresende erfolgen. Die Hinweispflicht besteht auch in einem laufenden Kündigungsschutzverfahren. Unterbleibt ein solcher Hinweis, wird der Urlaub uneingeschränkt das Folgejahr übertragen. Ob dadurch ein zeitlich unbegrenztes Ansammeln von Urlaubsansprüchen möglich ist, hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 22. Oktober 2019, 9 AZR 98/19, offengelassen. Nicht geklärt ist, ob bei einer Langzeiterkrankung der Urlaubsanspruch auch dann nach 15 Monaten nach Ende des Urlaubsjahres verfällt, wenn der Arbeitgeber zuvor seine Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt hat. Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht mit Vorlagebeschluss vom 07.07.2020, 9 AZR 401/19 (A) dem europäischen Gerichtshof gestellt. Die Antwort ist offen. Das Urlaubsrecht bleibt also nach wie vor spannend. Bremen im Oktober 2020 Rechtsanwältin Christiane Ordemann
von Fachanwältin für Arbeitsrecht Christiane Ordemann 15. Juli 2020
Die anstehende Schließung diverser Karstadt-, Karstadt-Sporthaus- und Kaufhof-Filialen stellt eine Betriebsänderung dar. Darüber muss der Arbeitgeber mit den jeweiligen Betriebsräten in Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen eintreten. Ohne die Abfederung der sozialen Nachteile und ohne Mitbestimmung der Galeria-Karstadt-Kaufhof-Betriebsräte dürfen keine Kündigungen ausgesprochen werden. Mitarbeitern, denen Aufhebungsverträge angeboten werden, müssen vorsichtig sein. In der Regel führt der Abschluss eines Aufhebungsvertrags bei anschließender Arbeitslosigkeit dazu, dass die zuständige Arbeitsagentur eine Sperrzeit verhängt. Das geschieht nicht bei betriebsbedingten Kündigungen. Achtung ist auch bei Erhalt einer Kündigung geboten: Ab Zugang der Kündigung – übrigens auch im Urlaub – läuft eine 3-wöchige Klagefrist. Wird diese Frist versäumt, gilt eine Kündigung als sozial gerechtfertigt allein wegen des Fristablaufs. In Einzelfällen kann eine Klage nachträglich vom Arbeitsgericht zugelassen werden. Es ist auch möglich, dass eine Kündigung aus formalen Gründen zurückgewiesen werden kann – allerdings nur unverzüglich, d.h. innerhalb von einigen Tagen. Eine Besonderheit im Insolvenzverfahren ist, dass auch gegenüber langjährigen Mitarbeitern nur eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende einzuhalten ist. Ärgerlich ist darüber hinaus, dass das Einkommen der Arbeitnehmer über das Insolvenzgeld nur für höchstens drei Monate gesichert ist. Mitarbeiter, die nach Ablauf dieser Zeit nicht mehr vom Insolvenzverwalter beschäftigt werden, müssen sich arbeitslos melden. Sie können die nicht gezahlte Vergütung dann nur noch zur Insolvenztabelle anmelden - mit offenem Ergebnis, wann und in welcher Höhe gezahlt werden kann. Rechtsrat sollte daher in jedem Fall sofort nach Erhalt einer Kündigung eingeholt werden, um keine vermeidbaren Nachteile zu erleiden. Bremen im Juli 2020 Fachanwältin für Arbeitsrecht Christiane Ordemann
Show More
Share by: